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Führungs-Krise: Was ist der Grund für die Führungs-Müdigkeit?

| Andreas Kellner

Führungs-Krise: Was ist der Grund für die Führungs-Müdigkeit?

Lesezeit ca. 4:40 min

In meinen Seminaren und im Coaching begegne ich oft Menschen, die mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden sind und seltener Menschen, die mit ihrem Job rundum zufrieden sind. Keine Überraschung. Denn die meisten, die sich auf ein Seminar oder ein Coaching einlassen, tun das, um etwas zu verändern und dieser Wunsch betrifft zufriedene Menschen nun mal seltener.

 

Führungskrise oder verzerrte Wahrnehmung?

Warum erwähne ich das? Ich erwähne es deshalb, weil ich meinen Eindruck, dass “da draußen” eine Führungs-Krise herrscht, lange nicht wirklich ernst genommen habe. Ich dachte: “Ist ja logisch, dass ich so viele Beispiele schlechter oder nicht wahrgenommener Führung in Unternehmen und Institutionen zu Ohren bekomme. Denen, die gute Führung erleben oder ausüben, begegne ich ja viel seltener.”

 

Faktum Führungsmüdigkeit

Stellt sich raus: ich hatte unrecht. Die von mir wahrgenommene Führungs-Krise oder Führungs-Müdigkeit ist offenbar Fakt. Schon nach kurzer Recherche tauchen zahlreiche Studien auf, die zu dem Schluss kommen, dass Führungsverantwortung eher als notwendiges Übel, denn als Karriereziel wahrgenommen wird.

 

Nur jede:r 10. will Führungsverantwortung

So kommen großangelegte Umfragen der Boston Consulting Group (BCG, zweitgrößte Unternehmensberatungsfirma der Welt) aus 2019 bzw. 2020 zum Ergebnis, dass nur jede:r 10. Arbeitnehmer:in Führungsverantwortung anstrebt und von denen, die bereits eine Führungsposition innehaben, wollen nur 40% weiter in leitender Funktion tätig sein. (vgl. zur Übersicht über die genannten Studien:
https://www.springerprofessional.de/personalentwicklung/transformation/null-bock-auf-fuehrung-und-karriere/7070038)

 

Die Gründe der Führungskrise?

Die Gründe, die dafür angeführt werden, klingen wie folgt:

1. Zum einen habe sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund von gestiegener Kompetenz der Mitarbeiter:innen ein komplexeres Erwartungsprofil an Führungskräfte entwickelt. Sprich: Da, wo 1955 der Chef noch befehlen konnte, muss er heute mehr delegieren, strategisch vordenken und coachen, während sich die Mitarbeiter:innen und Teams im Alltag mehr und mehr selbst organisieren und damit führen (sollen).

2. Durch diese veränderte Rolle ergebe sich ein Statusverlust für Führungskräfte gegenüber früher, da Erfolg nicht mehr so sehr der Führungskraft persönlich, sondern dem kollaborativ arbeitenden Team zugeschrieben werde.

3. Und schließlich begegnet uns die oft gehörte Behauptung, dass angesichts agiler Organisation in Netzwerken, die althergebrachte Hierarchien ersetzten, klassische Führungsrollen mehr und mehr überflüssig würden.

Überzeugt Sie das? Mich nicht. Aber der Reihe nach.

 

Erwartungen, Status, Agilität

1. Dass über die letzten Jahrzehnte die Erwartungen an Mitarbeiter:innen und Führungskräfte gestiegen sind bzw. sich verändert haben, ist zwar im Einzelfall sehr von der Tätigkeit und der Firmenkultur abhängig, aber im Aggregat sicher richtig. Ein klassischer deutscher Mittelstandsbetrieb hatte 1960 eine einzige Führungskraft: den Chef (sehr viel seltener die Chefin). Der Rest der Belegschaft hat Vorgaben ausgeführt.
Dennoch sind veränderte Anforderungen per se eindeutig kein Grund dafür, dass weniger Menschen Führungsverantwortung anstreben. An delegieren, coachen und strategischer Planung ist ja erst einmal nichts Unattraktives.

2. Auch das Argument des Statusverlusts leuchtet für sich gesehen nicht ein. Wenn früher der Erfolg auf diejenige oder denjenigen zurückstrahlte, der einsam alle Entscheidungen richtig getroffen hatte, warum sollte heute der Erfolg nicht genauso denjenigen zugeschrieben werden, die die am besten funktionierenden Teams leiten? Die Frage wäre eher, ob diese “neue” Form der Anerkennung im Unternehmen bzw. in der Institution stattfindet, oder nicht.

3. Damit sind wir beim Segen der agilen Organisation und ich gebe zu, wenn ich Expertenaussagen lese, die vom Verschwinden von Hierarchien und der allumfassenden Agilität moderner Organisation schwadronieren, geht mir mittlerweile direkt der Hut hoch. Das fängt damit an, dass es gefühlt Millionen von Ansichten darüber gibt, was denn “agil” sei und leider sind die meisten falsch.
Agile Organisation, agiles Management, agile Entwicklung etc. haben sich in den meisten Fällen schlicht zu leeren Begriffshüllen oder Vorwänden, Dinge nicht zu tun, entwickelt, anstatt dass man den agilen Ansatz, der ursprünglich aus der Software-Entwicklung stand, recht versteht und gewinnbringend einsetzt. Denn im Grundsatz geht es eigentlich nur um eines: Das gemeinsame Ziel steht fest, der Weg dahin kann aber flexibel sein.
Gemeint war dieses Denkmuster als Schutz gegen schlechte Zieldefinition und übertriebene Detailplanung; die Realität ist nicht selten Chaos und Richtungslosigkeit, die mit dem Stempel “agil” verbrämt wird.
Und dass Hierarchien weniger wichtig würden, ist eine der Grundirrtümer (oder Lügen?) vieler “New Work”-Protagonisten. Gehen Sie mal in die Realität von Teams und Arbeitsgruppen, egal ob im Konzern oder im Mittelstand:

Es gibt IMMER eine Hierarchie, ob sie formell verfasst ist oder nicht.

 

Aber warum dann das Führungsproblem?

Wenn der Befund der Führungs-Krise aber unstrittig ist, wir den dafür angeführten Gründen nicht vertrauen, warum haben wir denn dann ein Führungs-Problem?

Stefanie Krügl von der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft führt die vielen verschiedenen Dinge an, die von einer Führungskraft verlangt würden: “… aktiv im Projektgeschäft zu arbeiten, Teams zu führen, auf Augenhöhe mit Mitarbeitern zu agieren und gleichzeitig noch die Transformation zu gestalten.” Geht es also schlicht um die Arbeitsbelastung, die immer weniger Menschen auf sich nehmen wollen?

Die Expertin scheint dieser Ansicht zu sein und weiß zudem Abhilfe: ” Dies funktioniere nur mit einem agilen Mindset und agilen Methoden”, so Krügl. “Und natürlich nur mit einer reichlichen Portion Resilienz. ” (vgl.:
https://www.springerprofessional.de/personalentwicklung/transformation/null-bock-auf-fuehrung-und-karriere/7070038)

 

Falsches Bewusstsein?

Nach dieser Ansicht ist es also das falsche “Mindset” und die zu dünne Haut, die Menschen vom Übernehmen von Führungsverantwortung abhält. Wir sind Zeuge der Weiterführung der agilen Heilserzählung.

Analog zum Glauben, dass die richtigen digitalen Werkzeuge automatisch Selbstorganisation und Zusammenarbeit verbessern, haben wir es hier mit einem weiteren fundamentalen Missverständnis über neues Arbeiten und Co. zu tun.

 

Führung braucht Zeit!

Nein, das “agile Mindset”, das ich mir offenbar nur zu erwerben brauche, macht nicht automatisch alles gut mit der Führung. Wenn ich gute Führung ausüben soll, braucht es zuallererst und ganz simpel etwas anderes: Zeit. So wie Erfolg Zeit braucht (denn Sie müssen ihn sich erarbeiten), ist es auch mit der Führung. Wenn ich Teams leiten, Teammitglieder entwickeln, strategische Planung und so weiter betreiben soll, dann brauche ich dafür Zeit.

Was aber passiert, wenn ich die nicht habe? Und wie komme ich da raus? Dazu in Kürze mehr an dieser Stelle.

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